Unter dem Druck der französischen Ruhrbesetzung und einer galoppierenden Inflation war Anfang der 1920er-Jahre ein rentabler Betrieb auf zahlreichen Straßenbahnstrecken im mittleren Ruhrgebiet nicht möglich. Das betraf auch die Linie 8.
Da der Streckenast von Gelsenkirchen nach Günnigfeld – anders als erwartet – nicht besonders gut frequentiert war, wurde die Strecke während der Ruhrbesetzung mehrfach nicht befahren. Erst am 18. Februar 1924 normalisierte sich die Lage, sodass wieder ein regelmäßiger Linienverkehr angeboten werden konnte.
INITIATIVE DES SIEDLUNGSVERBANDES
So wie zwischen Gelsenkirchen und Günnigfeld ruhte auch auf anderen gut ausgebauten Strecken im mittleren Ruhrgebiet Anfang der 1920er-Jahre der Linienverkehr. Nicht nur die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG. Auch die benachbarten Verkehrsbetriebe hatten dadurch wirtschaftliche Probleme.
Eine spürbare Verbesserung sollte ein Gemeinschaftsverkehr mit der Westfälischen Straßenbahn GmbH bringen. Die Initiative dazu hatte der am 5. Mai 1920 durch die Preußische Landesversammlung in Berlin mit Sitz in Essen gegründete Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (SVR) ergriffen.
Das der Gründung des SVR zugrunde liegende Gesetz übertrug dem Verband als Kernaufgabe die „Förderung des Kleinbahnwesens“ im Ruhrgebiet. Ziel war es, ein zusammenhängendes und aufeinander abgestimmtes Nahverkehrsnetz zu schaffen. Dazu sollten die Gleisanlagen gemeinsam genutzt werden. Wo immer es die Spurweite der Strecken zuließ, sollten physische Verbindungen unter den Netzen geschaffen werden.
Um die miteinander konkurrierenden Gesellschaften an einen Tisch zu bringen, wurde der „Verein der Straßen- und Kleinbahnen des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk e.V.“ gegründet. Langfristig sollte die Zusammenführung der Verkehrsunternehmen des Ruhrgebiets in einer Einheitsgesellschaft erreicht werden. Ein Vorhaben, das zunächst durch den Zweiten Weltkrieg verhindert wurde, später aber in Form der Stadtbahngesellschaft Rhein-Ruhr und des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr wieder aufgegriffen wurde.
VON EICKEL II NACH HORST
Ein Gemeinschaftsprojekt betraf die Verbindung von Gelsenkirchen über Ückendorf nach Günnigfeld. Sie sollte Teil einer neuen Gemeinschaftslinie 5 von Eickel II (Dorstener Straße) über Eickel, Hordel, Günnigfeld, Ückendorf, Gelsenkirchen und Heßler nach Horst werden.
Für die Aufnahme des Gemeinschaftsverkehrs am 16. September 1924 wurde zwischen der Endstelle der Gelsenkirchener Linie an der Gemeindegrenze Ückendorf / Günnigfeld und der Ulrichstraße in Günnigfeld eine mehrere hundert Meter lange, über die Günnigfelder Marktstraße führende Verbindungsstrecke angelegt. An der Endstelle Ulrichstraße wurde diese mit der Linie Herne – Höntrop verbunden.
Auf der folgenden Postkarte sehen wir die Marktstraße in Günnigfeld unmittelbar vor der Verlegung der Gleise für die neue Verbindungsstrecke. Die Endstelle befand sich vorher etwa dort, wo am Horizont ein Fuhrwerk zu erkennen ist (Verlag Max Biegel, Elberfeld – Sammlung Ludwig Schönefeld).
Nach der Aufnahme des Gemeinschaftsverkehrs im September 1924 entstand am Ückendorfer Platz eines der seltenen Postkartenmotive mit Straßenbahn. Als Titelbild sehen wir eine Ausschnittvergrößerung. Im Anschluss zeige ich die Postkarte nochmals in voller Größe (Verlag Cramers Kunstanstalt, Dortmund, Sammlung Volker Bruckmann).
Der auf der „5“ eingesetzte Triebwagen stammt ursprünglich von der Kommunalen Straßenbahn-Gesellschaft Landkreis Gelsenkirchen. Zur Zeit des Gemeinschaftsverkehrs gehörte er bereits zum Wagenpark der Westfälischen Straßenbahn.