LEHRGELD

Wie bei großen Straßenbauprojekten üblich, blieben auch beim Innenstadtumbau von 1911 nach der gefeierten Eröffnung noch Restarbeiten. So musste Anfang Dezember noch der Anschluss von der Aah-Straße in die Bank- und Bahnhof-Strasse hergestellt werden.

Man könnte erwarten, dass damit die Belastungen der Gelsenkirchener durch die Bauarbeiten abgeschlossen gewesen wären. Nicht ganz: Das Holzpflaster in der Bahnhofstraße brachte neue Sachzwänge und ungeahnte Probleme.

Schon in der Stadtverordnetensitzung am 19. Oktober 1911 meldete sich der Stadtbaurat Wiether zu Wort. In seinen Augen war durch den Umbau der Bahnhof-Strasse ein neuer Sachzwang entstanden. So forderte er eine zum modernen Erscheinungsbild der Bahnhof-Strasse passende Umgestaltung des Neumarktes.

Wirklich schwerwiegende Probleme traten im Hitze-Sommer des Jahres 1914 zutage. Die ungewohnte Wärme wurde vom Holz gespeichert. Die Straßenbahnschienen konnten sich nicht abkühlen.

Nach rund drei Wochen mit hochsommerlichen Temperaturen kündigte sich am 18. Juli eine größere Betriebsstörung an. In Höhe des Kaufhauses David (Bahnhof-Strasse 36-38) verformten sich – wie auf dem Beitragsbild aus dem Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen dokumentiert – die Schienen der Straßenbahn: Da sich die Schienen bei den hohen Temperaturen ausdehnten und es dafür keine Ausgleichstücke gab, kam es zu der auf dem Bild von Passanten bestaunten Verwerfung des westlichen Richtungsgleises.

Es kam noch ärger: Die Temperaturen gingen auch in der Nacht kaum zurück. Die Erwärmung der Schienen blieb. Am Ende bot weder das Holzpflaster noch der darunter liegende Beton den erhitzten Gleisen einen Widerstand. Schließlich wurde das östliche Richtungsgleis ganz aus der Straße herausgedrückt, nachdem man bereits mit der Reparatur des westlichen Gleises begonnen hatte.

Die zunächst provisorischen Reparaturarbeiten begannen am 20. Juli. Am 21. Juli entstand das oben gezeigte Foto (Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen). Am selben Tag berichtete die Schalker Zeitung über das Ereignis (unten). Um das Problem dauerhaft zu beheben, wurde die Pflasterung der „Klötzgengasse“ später in üblicher Bauweise mit Basalt- und Granitpflaster erneuert: Ein hohes Lehrgeld.