DIECKHÖNER

Die Gaststätte Dieckhöner an der Ückendorfer Straße 83 gehörte über Jahrzehnte zu den traditionsreichsten Lokalen im heutigen Gelsenkirchener Stadtgebiet. 1972 konnten die damaligen Gastronomen Gertrud-Johanna und Paul Freischmidt den 100. Geburtstag des Gastronomiebetriebes feiern. Zwanzig Jahre später, am 21. Dezember 1992, ging das Ehepaar Freischmidt in den Ruhestand, nachdem man am Wochenende zuvor noch ausgiebig mit den Stammgästen gefeiert hatte.

KOHLE UND WOHLSTAND

Als Maria und Fritz Dieckhöner 1872 den „Schützenhof“ eröffneten, erlebte die Ueckendorf (die Schreibweise wurde erst später auf „Ückendorf“ geändert) einen beispiellosen Aufschwung. In diesem Jahr hatte nicht weit von Dieckhöners Grundstück entfernt die Zeche Alma die Kohleförderung aufgenommen. Sie war nach den Zechen Holland und Rheinelbe, die 1856 und 1861 den Förderbetrieb aufgenommen hatten, die dritte Steinkohlenzeche in Ueckendorf. Die Bevölkerung wuchs durch die zugezogenen Bergleute von 337 Einwohnern im Jahr 1855 auf 5.275 Einwohner im Jahr 1875. 1890 waren 13.129 Menschen in Ueckendorf gemeldet.

Die Gaststätte mit der Postanschrift „Schulstraße 24“ (heute Kreuzung Ückendorfer Straße / Bergmannstraße) hatte eine zentrale Lage: Zur Schachtanlage Alma waren es nur wenige hundert Meter Fußweg, auf dem benachbarten Grundstück Schulstraße 24 a befanden sich das Wohnhaus und die Stallungen des Postschaffners Ludwig Weber. Es darf angenommen werden, dass der Schankbetrieb sowohl von der Zeche als auch von der Haltestelle der Postkutsche profitierte. Nicht überliefert ist, wann die Postlinie eingestellt wurde. Bekannt ist nur, dass das Anwesen des Postschaffners am 21. September 1889 in den Räumen der Wirtschaft Dieckhöner versteigert wurde.

WITTWE DIECKHÖNER

Fritz Dieckhöner, der sich neben seiner Tätigkeit als Wirt auch im Krieger-Verein sowie in der Kirchen-Repräsentanz der evangelischen Kirchengemeinde Wattenscheid engagiert hatte, verstarb im Sommer 1879. Die Beisetzung mit Ehrengeleit des Krieger-Vereines erfolgte am 2. Juni 1879. Da die Kinder zu jung waren, um die Gaststätte weiterzuführen, übernahm Maria Dieckhöner den Betrieb. Seither wurde der Betrieb in der Zeitung als „Wirthschaft der Wittwe Dieckhöner“ bezeichnet.

Das Speiselokal entwickelte sich schon bald nach seiner Gründung auch zu einem beliebten Treffpunkt der Ueckendorfer Vereine. Fritz Dieckhöner war Mitglied des patriotischen Deutschen Reichs-Verein und des Ueckendorfer Bürger-Schützen-Vereins, dem zu Ehren er seiner Gaststätte den Namen „Schützenhof“ gab. Darüber hinaus war das gastliche Haus das Vereinslokal des Evangelischen Frauen und Jungfrauenvereines und des Evangelischen Männerchores. Die Mitglieder der evangelischen Gemeinde mussten zur Entrichtung der Kirchensteuer den „Schützenhof“ aufsuchen. Später tagte auch der Krieger- und Landwehr-Vereins Ueckendorf bei der Wittwe Dieckhöner.

Am 2. März 1884 wurde bei Dieckhöner die neue Bürger Feuerwehr und damit eine der ersten Feuerwehren der Stadt Gelsenkirchen gegründet. Zehn Jahre später war die Gaststätte das Vereinslokal des Emscher-Feuerwehr-Gau-Verbandes. Am 8. August 1901 wurde bei Dieckhöner die Einweihung des neuen Ueckendorfer Feuerwehrhauses gefeiert.

FRIEDRICH „FRITZ“ DIECKHÖNER

Fritz Dieckhöners 1868 geborener Sohn Friedrich, der wie sein Vater „Fritz“ genannt wurde, war inzwischen herangewachsen. Er engagierte auch er sich im Bürger-Schützen-Verein. Beim Schützenfest 1891 errang er den Reichsapfel. Im Mai 1892 verlobte sich Fritz Dieckhöner mit Lisette Breiing aus Bickern.

Im August 1893 ist der Emscher Zeitung zu entnehmen, dass der Schützenhof von der Wittwe Dieckhöner an den inzwischen 25jährigen Sohn und die Schwiegertochter übergeben worden war. Zu den ersten Festen, die das junge Wirtepaar im Saal der Gaststätte ausrichteten durfte, gehörte am 30. September 1893 das Richtfest für den Neubau der evangelischen Kirche in Ueckendorf.

Der Schützenhof wurde in den folgenden Jahren das Stammlokal weiterer Vereine. Zu den neuen Gästen gehörten der Evangelische Arbeiter-Verein und der Haus- und Grundbesitzerverein Ueckendorf. Lisette Dieckhöner engagierte sich im Vaterländischen Frauen-Verein. Für Abwechslung sorgten ab 1898 die im Haus Dieckhöner anberaumten Versteigerungen der örtlichen Gerichtsvollzieher.

Im Juli 1901 wurde Friedrich Dieckhöner zum Mitglied der Verwaltung des Amts Ueckendorf gewählt, ab dem 25. September war er stellvertretendes Mitglied der Sparkassen-Verwaltung. Nach der Eingemeindung von Ueckendorf nach Gelsenkirchen setzte sich Fritz Dieckhöner als bürgerlicher Stadtverordneter für die Belange des Stadtteils ein. Darüber hinaus war er Mitglied der Brandkommission. So wurde ein Gespräch am Tresen gerne genutzt, um sich über die Themen der Kommunalpolitik auszutauschen oder um Details aus den Einsätzen der Feuerwehr zu erfahren.

Als Stadtverordneter war Fritz Dieckhöner auch einer der ersten Ueckendorfer, die im September 1904 einen Telefonanschluss erhielten (Nr. 1304). Dies war für den rührigen Gastwirt ein willkommener Anlass, um bei dem örtlichen Verleger Peter Otto eine neue Werbepostkarte drucken zu lassen. Sie wurde 1905 in Umlauf gebracht (oben – Sammlung Volker Bruckmann).

In den oberen Stockwerken vermietete Fritz Dieckhöner möblierte Zimmer mit Mittags- und Abendtisch. Im Parterre gab es eine 4-Zimmer-Wohnung mit Mansarde zur Miete.

DIE DRITTE UND VIERTE GENERATION

Im Mai 1926 verstarb Lisette Dieckhöner im Alter von 60 Jahren. Friedrich „Fritz“ Dieckhöner wurde deutlich älter. Er starb am 14. Februar 1942. Den „Schützenhof“ hatte inzwischen in dritter Generation der jüngere Sohn Paul übernommen. Er war seit Januar 1927 mit der aus Heßler stammenden Gertrud Hübner, Tochter des Gastwirts August Hübner, verheiratet.

Die Tochter des Wirtepaares, Gertrud Johanna, heiratete im September 1956 Paul Freischmidt aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Bulmke. Seine Eltern hatten dort ein Tabakwarengeschäft. Paul Freischmidt wurde der vierte Wirt der Gaststätte Dieckhöner. Da inzwischen auch Ückendorfer Sportvereine die Gaststätte als Vereinslokal nutzen, erhielt der „Schützenhof“ in den letzten Jahren seines Bestehens zusätzlich die Bezeichnung „Turner-Klause“. Auch das hatte einen historischen Bezug: Bereits im November 1896 tagte bei Dieckhöner der Verein für Turn- und Jugendspiele des Kreises Gelsenkirchen.

Auch einer der Söhne von Gertrud-Johanna und Paul Freischmidt absolvierte nach der Schulzeit eine gastronomische Ausbildung. Eine Übernahme des Betriebs kam für ihn nicht mehr in Frage. Stattdessen schlug er nach einem Studium der Betriebswirtschaft eine Laufbahn in der Systemgastronomie ein.

Nachdem Paul Freischmidt sein Lokal im Dezember 1992 geschlossen hatte, wurde das traditionsreiche Haus an einen Supermarkt vermietet. 2013, nach dem Tod von Paul Freischmidt, entschloss sich die inzwischen weit verzweigte Familie zum Verkauf der Immobilie.