Die Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1. August 1914 sorgte im mittleren Ruhrgebiet für chaotische Zustände. Der Straßenbahnverkehr kam zum Erliegen. Ein Großteil des Personals wurde zum Kriegsdienst eingezogen. Fahrpläne mussten ausgedünnt werden, bis zu 50 Prozent der Fahrten wurden gestrichen.
Als Schaffner halfen zunächst Schüler der höheren Lehranstalten aus. Umsteigebillets wurden nicht mehr ausgegeben, sonstige Serviceleistungen reduziert. 70 Prozent des Personals wurden im ersten Kriegsjahr eingezogen. Die in Gelsenkirchen verbliebenen Angestellten sorgten für die Familien der in den Krieg gezogenen Kollegen.
KOLLEGEN GESUCHT
Aus dieser Zeit stammt das Beitragsbild dieses Kapitels (Nachlass Albert Küster, Hamburg – BOGESTRA-Fotosammlung). Es entstand 1914 im Zusammenhang mit der Ausbildung von Schülern für den Schaffnerdienst im Betriebshof Gelsenkirchen. Im Hintergrund ist der 1913 von der Waggonfabrik Uerdingen gelieferte Triebwagen 233 auf Gleis 3 der im gleichen Jahr in Betrieb genommenen neuen Wagenhalle zu sehen. Das Foto stammt aus der Sammlung von Albert Küster (vordere Reihe, zweiter von rechts). Im Sommer 1967 stellte er das Bild der BOGESTRA zur Verfügung, um mit dem fotografischen Beleg eine Recherche zur Vervollständigung seiner Rentenversicherungsunterlagen zu ermöglichen. Damals lebte er in Hamburg.
Im August 1967 veröffentlichte die BOGESTRA das Bild und die Suche nach Zeitzeugen in ihren Betriebsmitteilungen. Die Gelsenkirchener Lokalpresse nahm das Thema auf. Tatsächlich meldeten sich zwei Gelsenkirchener Bürger, die 1914 gemeinsam mit Albert Küster als Hilfsschaffner tätig waren.
DIE ERSTEN SCHAFFNERINNEN
Trotz der dramatischen Tage im Spätsommer verzeichnet der Geschäftsbericht der Straßenbahn für das Jahr 1914 noch einen glänzenden Abschluss: Der Reingewinn betrug 1.629.088,64 Mark. An die Aktionäre wurde eine Dividende von neun Prozent ausgeschüttet.
Am 2. März 1915 meldeten die Zeitungen die Einstellung der ersten Schaffnerinnen. Sie mussten jetzt den Dienst der eingezogenen Männer bewältigen. Um den ohnehin schweren Dienst zu erleichtern, führte die Gesellschaft im September 1915 Zeitkarten mit Lichtbildern für Dauerfahrgäste ein. Soldaten wurde freie Fahrt gewährt.
lm Laufe des Krieges wurden immer mehr Straßenbahner eingezogen. Ab November 1916 wurden auf einigen Linien auch Frauen als Fahrerinnen eingestellt. Da Personal in Betriebshöfen und Werkstätten fehlte, wurden die Angestellten der Straßenbahn. aber auch die Fahrzeuge und Betriebsanlagen schonungslos ausgenutzt.
Über die Einziehung zahlreicher Haltestellen versuchte die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG im Dezember 1916, die Kosten zu reduzieren. In den meisten Fällen konnten damit auf den Linien nur jeweils ein Kurs und maximal vier Arbeitsplätze eingespart werden.
Nach Kriegsende kehrten viele Straßenbahner in das Revier zurück. Bis Ende 1918 hatte sich die Lage normalisiert, sodass bei der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG der Acht-Stunden-Tag eingeführt werden konnte.