Über die „Wilhelminenbahn“ berichte ich in mehreren Kapiteln dieser Website. Die 1862/63 durch die Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft angelegte, eingleisige und ausschließlich für den Güterverkehr genutzte Anschlussbahn verband das östliche Gelsenkirchener Bahnhofsvorfeld mit der Schachtanlage Wilhelmine Victoria I / IV an der Grenze zwischen Schalke und Heßler. Mit den Teufarbeiten von Schacht I wurde dort 1856 begonnen. 1863 nahm die Anlage den Betrieb auf.
Für den Verschub der Güterzüge entstand im Westen des Gelsenkirchener Stadtkerns der Bahnhof Schalke-Süd. An diesen wurde 1865 auch die Zeche Consolidation in Schalke angeschlossen.
Am 15. Oktober 1871 übernahm die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft die Anschlussbahn. 1872 wurde die Strecke bis zur Schachtanlage Wilhelmine Victoria II / III in Heßler fortgeführt, deren Förderschächte in den Jahren 1872 bis 1876 und 1888 bis 1892 abgeteuft wurden.
Im Zuge der im Bismarck-Reich vorangetriebenen Verstaatlichung privater Eisenbahngesellschaften ging die Wilhelminenbahn rückwirkend zum 1. Januar 1880 an die Königlich Preußische Eisenbahn-Verwaltung (K.P.E.V.) über. Das entsprechende Gesetz hatte man am 14. Februar 1880 verabschiedet.
MITTEN DURCH DIE STADT
Je näher die städtische Bebauung vom einstigen Dorf Gelsenkirchen an die Cöln-Mindener Eisenbahn heranrückte, deste prekärer wurde die Trassenführung der Wilhelminenbahn. Sie folgte vom Bahnhofsvorfeld dem ehemaligen „Schwarzen Weg“, kreuzte die Bahnhof- und die Aah-Strasse und mündete dann in den heute zurückgebauten Bahnhof Schalke-Süd. Spätestens nach der Eröffnung des Rathauses im Jahr 1894 und der Inbetriebnahme der Straßenbahnlinien nach Wattenscheid und Steele, die die Wilhelminenbahn an der Bahnhof- und Aah-Strasse niveaugleich kreuzten, waren die Güterzüge ein innerstädtisches Verkehrshindernis.
Das hier als Titelbild gezeigte Postkartenmotiv zeigt die Trasse der Wilhelminenbahn vor dem Rathaus. Sehr schön ist hier auch das Bahnwärterhaus an der Schranke mit seinem gepflegten Garten zu erkennen (Postkarte ohne Verlagsangabe – Sammlung Ludwig Schönefeld).
EINE NEUE VERBINDUNGSBAHN
Am 1. April 1897 nahm die Königlich Preußische Eisenbahn-Verwaltung eine als Ersatz für die Wilhelminenbahn angelegte neue Verbindungsbahn vom Gelsenkirchener Bahnhof über Schalke-Süd nach Heßler in Betrieb. Sie verließ den Bahnhof Gelsenkirchen auf der westlichen Seite und sollte – ganz im Sinn der Stadt Gelsenkirchen – die Einstellung des Bahnverkehrs auf der alten Trasse ermöglichen.
Die Gelsenkirchener Stadtverwaltung war daran interessiert, die alten Gleise so schnell wie möglich zu demontieren. Sie plante anstelle des Schwarzen Weges eine neue Verbindungsstraße von der Aah-Strasse zum Bahnhof. An dieser sollten ein Hallenbad sowie repräsentative Geschäftshäuser entstehen.
RANGIERVERKEHR UND HÜTTENZÜGE
Es kam erst einmal anders: Denn tatsächlich fuhren auf der Wilhelminenbahn auch nach der Eröffnung der neuen Verbindungsbahn weiterhin Züge. Noch zu klären wäre, ob es sich dabei auch um Leistungen der Staatsbahn oder um Rangier- und Überstellungsfahrten des Schalker Vereins handelte. Ein Beispiel dafür wäre der weiter unten von der Emscher Zeitung erwähnte Hüttenzug Gelsenkirchen – Schalke-Süd.
Die diesbezügliche historische Unschärfe könnte ein Grund dafür sein, dass bisher in mehreren Buchtiteln der 1. April 1897 als Einstellungsdatum der Bahn genannt wurde. Auch ich selbst habe das Datum in einer aktuellen Veröffentlichung vermutlich irrtümlich so angegeben.
HINDERNIS FÜR FUHRWERKE UND STRASSENBAHNEN
In der Tagespresse finden sich gleich mehrere Belege für den von 1897 bis 1904 auf den alten Gleisen durchgeführten Bahnbetrieb. Wie stark der Straßenbahnverkehr durch die Zugbewegungen auf der Wilhelminenbahn betroffen war, belegt der folgende Artikel aus der Emscher Zeitung vom 3. Oktober 1902:
IN DER KRITIK – ABER UNVERZICHTBAR
Obwohl der Bahnbetrieb auf der Wilhelminenbahn immer wieder kritische Stimmen auf den Plan rief und die Rangierfahrten den Bau des neuen Gelsenkirchener Bahnhofs, insbesondere die Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes, erheblich beeinträchtigten, musste Gelsenkirchen noch bis zum Juli 1904 auf das Ende des Zugverkehrs warten. Vielleicht wurden die Gleise auch gebraucht, um einen Teil des Güterverkehrs im Zusammenhang mit der Hebung der Cöln-Mindener Bahn umzuleiten.
Am 16. Juli 1904 konnte die Emscher Zeitung berichten, dass der Verkehr in der folgenden Nacht eingestellt werden könnte:
Mit der Einstellung der Fahrten auf der Wilhelminenbahn wurde das größte Hindernis für die Fertigstellung des Bahnhofsvorplatzes beseitigt. Gleise und Schwellen wurden unmittelbar nach der Einstellung der Zugverkehrs Anfang August 1904 aufgenommen.
Die in der Bildfolge gezeigten Aufnahmen sind am 4. August 1904 entstanden. Auf dem ersten Motiv liegen links vorne noch aufgestapelte Schwellen. Im Hintergrund ist die geräumte Bahntrasse zu erkennen. Das zweite Foto entstand aus einer etwas anderen Perspektive. Hier blickt der Fotograf von der angehobenen Trasse der Cöln-Mindener Eisenbahn auf die mit Hochdruck vorangetriebenen Arbeiten auf dem Bahnhofsvorplatz (Originalabzüge aus der Sammlung Volker Bruckmann).